Sonntag, 20. Mai 2012

Aus der Reihe Montagsjazz: Little Redhead


Heute waren die Amis los. Ein seltenes Ereignis. Die Wahnsinnigen. Die müssen eine Sondereinheit für Wahnsinnige haben. Oder vielleicht waren die längst frühberentet und nicht mehr im Dienst und hatten den Flug verpasst, zurück in die Heimat. Erst mal der General. Hustete wie immer ohne den Hauch von Anstand in sein Saxofon. Wenn es je einen Menschen gab, dem alles egal war, dann war es der General. Fehler? Fehlzeige. Keine Chance, dass ihn das juckte. Er spielte sein Zeug runter, wie ihm die Schnauze gewachsen war. Ich glaube, der hatte alles gesehen. Von den verrückten Amis war er der einzige Weiße. Blaue Augen quollen wie Quallen aus seinem schiefen Schädel. Ob er ein General war, keine Ahnung. Vielleicht war er auch Hausmeister.
In seinem Blick: Entrückte Eleganz. Die Eleganz von verbeulten Panzern. Die Eleganz von schlammverschmierten Stiefeln, die seit Vietnam nicht mehr geputzt worden waren. Wer im Schützengraben morgens die Handgranate zündet, dann daran sein Ei aufschlägt, um sie schließlich über die Schulter zu werfen, wer sich mit dem Rambomessser die Fußnägel schneidet, wer beim Dosenstechen das Loch mit der Luger in die Dose schießt, den jucken die Angebereien der Musikstudenten wenig. Wie sie die Rituale der großen Jazzer kopieren. Wie sie lässig ihre Kippen rauchen und zwischendurch verstohlen auf ihre Noten gucken, weil sie kein Solo aus dem Bauch heraus spielen können. Nein, den General juckt das nicht. Der spielt sich das Napalm aus der Seele. Der hört nur auf zu zittern, wenn das Saxofon seine Finger massiert. Der muss husten, wenn er nicht bläst. Während seine Kameraden noch versuchen, dem Song zu folgen und die Studenten an Bass und Piano verzweifelt Röntgenblicke auf ihre Songbooks schießen, spielt er einfach über alles weg. Die Harmonien fühlt er, irgendwie passt es. Oder auch nicht. Ist alles egal.
Die anderen zwei, das sind John und John. John sitzt am Schlagzeug. 150 Kilo schwarze Masse. Schwarze Materie. Und wo beim General nervöses Elmsfeuer hinter den Augen sitzt, die vage Gefahr, dass er aus seinem Saxofonkoffer ein Maschinengewehr holt und alles niedermäht, da ist bei John nur Pachydermenruhe. Ein stiller Humor, ein knappes Lächeln und ein Beat wie ein Herz. Das Herz weiß stets wie es schlagen muss und wenn du die Treppe hoch rennst, wird es schneller. So wird auch John schneller und langsamer, wie die Musik es braucht und die Studenten gucken blöd. Er feuert den General an, wenn er will und er schafft den Spagat, für die lokalen Jungs die Songstruktur zu halten und zugleich durch des Generals Spiel zu manövrieren.
John der Zweite ist auch viel zu alt um noch zu dienen - was machen die Jungs noch hier? Hager und groß. Afroschädel, Koteletten, Augenringe bis zum Kinn, Schnaps im Blut. Eine Schicht aus Mehltau ziert seine Kleider. John der Zweite singt. Wenn blonde Mädchen kommen und Schubidu hauchen, dann ist das schlimm. Wenn John singt, dann ist das gut. Er schreit Textfetzen wie James Brown. Ein Wort ist ein Akkord. Er erforscht es, bis er es von allen Seiten durchgenudelt hat, bis die Konsonanten klacken und die Vokale in Tremoli durch seine Zähne gerauscht sind. Was Coltrane mit Akkorden macht, macht John mit Worten. Und in einer in tausend Kriegseinsätzen mit Johnny dem Ersten geschulten Einheit feuert er seine Silben ab, schießt Salven zwischen das Sperrfeuer der Drums, dass der Funk brennt und die Leiber zucken.
Und die armen Musikstudenten, was sollen sie davon halten? Sie spüren, dass das authentisch ist. Sie spüren den groove. Und überhaupt, das sind Amis und vor Amis kriecht man respektvoll am Boden. Zu Amis sagt man: hey man! und spricht seinen Vornamen englisch aus. Aber diese Amis durchbrechen ihre Angeberregeln und sie halten sich nicht an Solozeiten und sie zeigen keinen Respekt vor den ranghöchsten Saxofonangebern, die in den Pausen immer ihr Halsband tragen, falls einer noch nicht gesehen hat, dass sie Hornbläser sind. Aber die Zuschauer stört das nicht, die wollen heiße Musik und heiße Musik wird geliefert.
Die Studentenstatisten wechseln, ein weißhemdiger Trompetenheini kommt und geht, der Bassmann wird älter. Am Rand steht einer, der mir auffällt, durch seine Unscheinbarkeit. Nie gesehen, den Typen. Kleiner, rothaariger Junge. Bisschen rundlich, bisschen blass. Mathematikstudentenaura. Warum fällt er mir auf? Er nickt im Takt und hört genauer zu, als die anderen. Er ist absorbiert, in der Musik. Mehr als einer sein dürfte, der seine Briefmarkensammlung digitalisiert.
Jetzt wieder Szenenwechsel. Christian unser Alphatier am Saxofon, neben dem General. Seidenhemd, blödes Bärtchen. Uih, der zeigt dem jetzt, wo es lang geht, unser Christian. Der wechselt jetzt gekonnt zwischen Melodielinie und Improvisation und dann streut er ein paar nette Dinger ein und dann spielt er sein Solo kunstfertig und schnell. John der Zweite nickt und ruft: Yeah! Denn was der Christian spielt ist nicht schlecht und es würde ihm nie einfallen, den weißen Bengel für seine Angeberei abzustrafen. Wenn gut gespielt wird, wird Yeah gerufen, denn die Musik zählt. Hierarchie haben die bei der Army genug.
Es ist brechend voll jetzt. Und die drei Amis machen auf der Bühne einfach keinen Platz. Jeder, der was zeigen will, muss zur Audienz zu ihnen und Schlagzeuger sind heute einfach nicht dran. Versuch mal hundertfünfzig Kilo vom Hocker zu schieben. So ziemlich jeder hat jetzt schon gezeigt, was er kann und sein Lichtlein entscheffelt. Jeder will mal give me five machen und hey man sagen. Heute sind die Amis da, heute muss man hoch auf die Bühne.
Der General beugt sich runter. Was gibt's? Er redet mit dem little redhead. Klein und dick und sommersprossig und halb so alt wie die Dienstjahre auf des Generals Konto. Was will der wohl? Nicken seitens des Generals und er ruft über die Schulter: Lester leaps in. Ach, und der Junge hat ein Köfferchen und das ist ein Saxofonkasten? Wie, will der spielen? Der ist noch nie hier gewesen. Was traut der sich? Er kommt hoch auf die Bühne. Ein glänzend poliertes Horn, nagelneu, gerade gekauft. Frisch angefangen zu lernen oder was? Erstsemester Musikschule? Nimm dich in Acht. Meisterbläser Christian ist auch dabei, so dass sie jetzt einen Triple-Saxofonsatz haben und da sind wir ja mal gespannt.
Lester Leaps in ertönt und der General bricht schon nach der dritten Note aus dem schönen Unisono aus und salpetert irgendwelche Eskapaden dazwischen. Christian will den Leader geben und phrasiert mutig um. Aber der Ton von dem Kleinen ist lauter. Und klarer. Und schwerer. Und größer. Hat der da irgendeinen Verstärker dran? Mit was für einem Volumen besetzt der hier den Raum? Noch die hintersten Ecken vibrieren von seinem Ton.
Nach zwei, drei Repeats gehen sie gleich in die vollen und Christian legt sein Solo vor. Der General unterbricht ihn an den absurdesten Stellen, aber egal. Christian will den Kleinen fertig machen, das wird schnell klar. Er macht große Lagensprünge und wirft schräge Noten um sich. Er ist warmgespielt und macht ganz schöne Hasenläufe. Hakenschlagen und Turbofüßchen, schnell, schnell, schnell. Das ist schon ordentlich. Das wird schwer, da mitzuhalten. Jetzt sind wir mal gespannt.
Peng. Der erste Ton fegt alles weg. Was macht der Kleine da? Diesen ersten Ton hält er schon mal ungefähr drei Minuten und man fragt sich, ob er da einen Blasebalg angeschlossen hat oder wo die ganze Luft herkommt. Was ein Statement. Hier bin ich. Dieser Dauerton ist laut und scharf und vibriert, wie er es will. Er vibriert im gottverdammten Takt. Und dann schleudert er die ersten Läufe ins Publikum. Hoch und runter und unter Verwendung jeder erdenklichen Harmonielehre. Was macht er da überhaupt? Er spielt ein Highspeedgewitter, Dauerfeuer aus einer Rotationskanone, zwölf Zylinder Super plus. Aber vor allem groovt er. Der klingt wie eine Mischung aus Michael Brecker und Bill Evans. Vollkommen funky plus dreidimensionale Graffittis. Jede Note dient dem Groove und nicht irgendeiner Nicklichkeit. Wenn es gerade passt, dann bläßt er eine Bluenote über fünf Takte. Der Anfang war noch nichts, dieser Mensch muss nicht atmen. Er hält den Ton, während der Beat unter ihm explodiert. Mit einer Gelassenheit und Beiläufigkeit, die Angst macht. Was ist das? Was zum Teufel ist das? Sein Horn glänzt so, dass ich sein Gesicht nicht sehe. Mit einem letzten omnipräsenten Dauerton beendet er sein Solo. Nach dem Stück verlässt er die Bühne und steht wieder mit hängenden Schultern am Rand. Nie war ein besserer Saxofonist in diesen Räumen. Und nie habe ich den kleinen Redhead wieder gesehen. Wahrscheinlich spielt er sonst nur in Montreux.

3 Kommentare:

  1. und so jemand hat einen song geschrieben namens punkers paradise.. es ist unfassbar

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  2. Worte wie ein Sturm oder nur heiße Luft? Ich bin für heiße Luft, aber nur wenn sie glüht und das Rohr implodiert, der Raum invertiert und der Sound zur Wand konvertiert. Eine so genannte Schallmauer: „Brickhouse“ (The Commodores) ist ein Ohr-Wurm gegen diesen Ohr-Drachen, der Feuer kotzt und jeden Subwoooover abfackelt …. Yeahhh - Little Redhead….

    Golden shit…

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