Blinde Wut
Unangenehm, mit verbundenen Augen zu kämpfen? Ja, man schwitzt etwas unter dem Stoff, könnte schöner sein. So, wo ist er denn, der Bastard? Ich hör ihn schnaufen, auf 11Uhr. Macht der sich Mut damit? Ist der so in Panik, dass er so schnaufen muss? Der Boden ist krümelig, Kiesel und Sand und Staub. Den hört man gut. Ich rolle die Füße stark ab, um Geräusche zu vermeiden. Wenn auch er wahrscheinlich gar nicht richtig hinhört. Hat er nie gelernt. Der Griff meines Messers ist aus Bakelit und fein geriffelt. Die Klinge ist kopflastig. Vorsichtig habe ich sie vor dem Kampf betastet. Sie ist scharf und spitz und wird gute Dienste leisten. Jetzt schreit er. Er macht sich Mut, der Arme. Ich schweige. Ich gehe leise nach rechts, um ihn herum. Er riecht nach Wäsche, die man feucht in den Schrank gelegt hat, und nach Tabak und Schweiß. So riecht er immer. Jetzt ist noch Angst dabei. Ist aber auch blöd, so mit verbundenen Augen zu kämpfen. Der Arme. Hätte er bloß nicht gewettet. Nicht mit einem Blinden.
Ich ducke mich und hebe etwas Kies mit der linken Hand auf. Ich strecke den Arm weit nach links und werfe den Kies auf Bill. Dann mache ich schnell noch einen leisen Schritt nach rechts. Er brüllt und geht auf die Stelle los, an der er mich vermutet. Ach, ist er gefallen? Nicht mal geradeaus gehen kann der, ohne Sicht. Ich komme näher. Ich höre, dass er aufsteht und dass er mit dem Rücken zu mir steht. Das merke ich, weil seine Stimme jetzt anders klingt.
„Komm her du, ich mach dich fertig!“, ruft er. Ich lache lautlos. Vor der ganzen Besatzung musste er wetten. Nur weil ich klüger bin als er, das hat er nicht ausgehalten. Da hat er seine körperliche Stärke rauskehren wollen. Da hat er gesagt, mich kann er fertig machen wenn er will. Klar, ich bin ja blind, habe ich da gesagt. Dich, hat er gebrüllt, dich kann ich noch mit verbundenen Augen kaputt machen. Klar, aber höchstens, wenn ich gefesselt bin, habe ich gesagt. Und schon kam es zu der Wette. Aufs erste Blut. Mit Messern. Beide kriegen die Augen verbunden. Ich habe auf beide bestanden, auch wenn ich sowieso nichts sehe. Sollte keiner hinterher sagen, es war nicht fair.
Jetzt umkreisen wir uns. Ich umkreise ihn, er taumelt umher. Sein Schritt ist schwer. Sein Atem pumpt. Wenn er mich zu packen kriegt, lässt er mich nicht mehr los. Dann wird es gefährlich. Ich bleibe auf Abstand.
Schon immer haben wir uns gehasst. Weil ich klüger bin, kann er mich nicht ausstehen. Weil ich als Funker unschlagbar bin, selbst wenn ich blind bin. Er ist ja nur Maschinist. Ich sitze an der Quelle, jede wichtige Information geht über mich. Das kann er nicht ertragen. Und ich, ich hasse ihn. Weil er es mit meiner Schwester treibt. Und weil ich höre, wie er vor den anderen über sie redet. Mies redet, wie über ein Flittchen. Er denkt, ich bin auch taub, er vergisst, dass ich das mitkriege. Oder es ist ihm egal. Als Blinder zähle ich für ihn nicht. Über meine Schwester kann man reden, auch wenn ich dabei bin. Als wäre ich ein Tier, das nichts versteht. Ein Kind, das nichts machen kann. Wie ich ihn hasse.
Mit lauten Schritten umrunde ich ihn jetzt, um ihn nervös zu machen. „Ey, mach bloß nicht das Tuch ab“, höre ich Mac rufen, „sonst wird es ein unfairer Kampf. Ich lass nicht zu, dass du nen Blinden angreifst, ohne die Binde!“ Also ist er richtig nervös geworden, wollte das Tuch runter nehmen. Ich immer schön um ihn rum jetzt. Und plötzlich bleibe ich stehen. Hui, ich spüre ihn ganz dicht, er schlägt nach mir. Hastig springe ich zurück. Da habe ich mich verschätzt, das war knapp.
Das Messer ist kopflastig und baumelt lässig an meiner Hand. Meine Brust ist aus Wut. Der Boden knirscht. Wind weht ganz schwach. Die andern sind leise, schauen zu. Sie wissen, dass wir auf unsere Ohren vertrauen müssen. Bill prustet. Ich schleiche mich an. Vorsichtig strecke ich meine linke Hand aus. Ich höre, dass er stehen geblieben ist. Ich höre seinen Atem. Er weiß nicht, wie nah ich bin. Jetzt spüre ich die heiße Luft aus seiner Lunge auf meiner linken Hand. Ich rieche sein Haar. Da ist also sein Kopf. Dann müsste da seine Schulter sein. Dann müsste da sein Hals sein. Kehlkopf, kleine Mulde, Muskelstrang, Halsschlagader. Ich lasse die linke Hand fallen und greife nach ihm. Ja, das ist seine Schulter und hier ist sein Schlüsselbein. Die Rechte beschreibt einen Bogen von oben. Die Spitze des Messers fällt. Kehlkopf, Mulde, Halsschlagader. Ein schneller Schnitt, zwei Zentimeter tief, drei lang. Schon baumelt das Messer wieder lässig an der Seite. Schon sackt er zusammen. Ich trete zurück, ja wo ist er denn? Tastend und stolpernd spiele ich den Dummen. Ich wollte ihn nur verletzen, es war doch nur eine Wette. Ich bin blind, ich wusste doch nicht, wo ich ihn treffe. Nur ein Schnitt, ganz oberflächlich, nur eine Wette. Ich bin doch blind.
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